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Ein Gastbeitrag von Marcus von Amsberg
Wenn Lernende in der Schule etwas nicht verstehen, suchen sie häufig nach einem
Erklärvideo im Internet. YouTube ist nach Google die zweitgrößte Suchmaschine und insbesondere für Jugendliche Suchmaschine Nummer 1. Wenn Schüler:innen dieses Medium gerne nutzen, liegt es nah, Erklärvideos auch in den eigenen Unterricht einzubinden. Ein Video nur als Ersatz für den Lehrervortrag einzusetzen, ist didaktisch meist wenig sinnvoll. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, Erklärvideos sinnvoll in den Unterricht zu integrieren. Die Methode des „Flipped Classroom“ ist spätestens nach den Lockdowns in der Corona- Pandemie die Bekannteste.
„Flipped Classroom“ – Was ist das?
Kern dieser Methode ist, dass sich die Lernenden wesentliche Lerninhalte z. B. mit Hilfe kurzer Erklärvideos sowie ergänzender Materialien außerhalb des
eigentlichen Unterrichts aneignen und der Unterricht selbst zum Üben, Wiederholen und zur vertiefenden Auseinandersetzung sowie Aneignung genutzt wird.
Das Grundprinzip des Flipped Classroom erläutere ich in diesem Tutorial:
Das Erklärvideo als Ausgangssituation
Wenn man Lernenden eröffnet, dass sie beispielsweise anstatt einer üblichen Hausaufgabe ein Erklärvideo schauen können, ist die Begeisterung meist groß. Oft steckt dahinter die Vorstellung, dass diese Videos ähnlich wie eine Netflix-Serie konsumiert werden können.
Deshalb ist zu Beginn der Arbeit mit Erklärvideos wichtig, den Lernenden zu vermitteln, wie diese Videos geschaut werden. Das „aktive Schauen“ der Erklärvideos kann beispielsweise mit einem Notiz-Arbeitsblatt initiiert werden, das ausgefüllt und bei der Aufgabenkontrolle vorgezeigt bzw. digital eingereicht werden muss. Die Lernenden müssen dann in der Lage sein, die zentralen Inhalte der Erklärvideos mithilfe ihrer Notizen wiederzugeben bzw. klar zu formulieren, was nicht verstanden wurde.
Die Vorteile von Erklärvideos gegenüber einem Lehrer:innen-Vortrag erläutere ich in diesem Tutorial:
Links, QR-Codes, LMS…
Erklärvideos auf YouTube können Schülerinnen und Schülern leicht über einen Link zugänglich gemacht werden. Wenn Erklärvideos auf Arbeitsblätter integriert werden, kann die Erstellung eines Kurzlinks bzw. eines QR-Codes zum Video sinnvoll sein.
Noch einfacher ist die Integration von Erklärvideos in ein Lernmanagementsystem (LMS). In Hamburg wird Moodle (lms.lernen.hamburg.de) zentral allen Schulen zur Verfügung erstellt.
Implementierung des „Flipped Classroom“ in den Unterricht
Das „klassische“ Konzept des Flipped Classroom stellt hohe Anforderungen an die Fähigkeiten der Schüler:innen selbstständig zu arbeiten. Üblicherweise
dienen Hausaufgaben als Möglichkeit, Erklärvideos zu schauen und z. B. Notizen
anzufertigen, die zu Beginn der nächsten Unterrichtstunde besprochen und kontrolliert werden. Aber wie lässt sich dieses Konzept umsetzen, wenn Schulen nicht mit Hausaufgaben arbeiten, weil sie z. B. gebundene Ganztagsschulen sind? Oft haben diese Schule feste Zeiten im Stundenplan, in denen die Lernenden „Hausaufgaben“ erledigen können. Oder es gibt Konzepte wie das „Lernbüro“, also Zeiten, in denen Schüler:innen individuell an unterschiedlichen Lerngegenständen arbeiten. In diesem Fall bietet sich eine Variante, der sogenannte „InClass-Flipped Classroom“ an. Notwendiger Input wird weiterhin z. B. in Erklärvideos ausgelagert, diese werden aber nicht zu Hause, sondern in der Schule geschaut.
Damit dies gelingen kann, benötigen die Lernenden in der Schule Zugriff auf digitale Endgeräte mit Internetzugang. Eine positive Folge der Corona-Pandemie ist sicherlich die höhere Anzahl an digitalen Endgeräten und eine bessere Internetversorgung in der Schule, sodass diese Variante des Flipped Classroom immer besser umsetzbar sein wird.
Neben digitalen Endgeräten mit Internetzugang ist es hilfreich, wenn in den Klassen eine ausreichende Anzahl von Kopfhörern vorhanden ist, die von den Lernenden für das Schauen von Erklärvideos genutzt werden können. In einer Klasse sind Kopfhörer zwingend notwendig, wenn Erklärvideos geschaut werden und erfahrungsgemäß haben die Schüler:innen oft keine Kopfhörer dabei, wenn diese für den Unterricht gebraucht werden.
In dieser Variante des Flipped Classroom können Lernende bei der Arbeit mit Erklärvideos besser von Lehrkräften oder Mitschüler:innen begleitet werden. Damit ist der „In-Class-Flip“ eine interessante Alternative, insbesondere wenn Lernende noch am Anfang des selbstständigen Lernens stehen, Begleitung benötigen und ggf. zu Hause nicht die Bedingungen (digitales Endgerät, stabile Internetverbindung, ruhiger Arbeitsplatz usw.) für eigenverantwortliches Lernen mit Erklärvideos vorfinden.
„Gute“ Lernvideos
Auf YouTube werden rund 300 Stunden an Videomaterial pro Minute hochgeladen. Bei der Suche nach geeigneten Videos ist eine hohe Filterkompetenz gefragt, denn jeder Mensch kann ohne fachliche Prüfung Inhalte verbreiten. Schüler:innen sollten Informationen über die Ersteller der Videos (z. B. über die Kanalinfo in jedem YouTube-Kanal) und Informationen aus weiteren Quellen einholen, wenn sie selbst auf der Suche nach Erklärvideos sind. Bei der Einordnung eines Videos hinsichtlich der fachlichen Korrektheit werden weiter Lehrer:innen eine entscheidende Rolle einnehmen. Für eine erste Orientierung hat Justine Schöne im Rahmen ihrer Dissertation 110 YouTube-Kanäle mit schulischen (fachlichen) Inhalten gesammelt.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten den eigenen Unterricht mit Erklärvideos zu gestalten. Je nach Unterrichtsszenario stehen die Videos im Mittelpunkt des Geschehens und mal ergänzen sie lediglich den Unterricht.
Auch wenn Erklärvideos bei Lernenden meist beliebt und Vorteile der Nutzung offensichtlich sind, sollte der Einsatz immer didaktisch begründet erfolgen. Unterrichten mit Erklärvideos ist nur eine Möglichkeit der Unterrichtsgestaltung. Der Mix macht`s.