Deeper Learning

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Eine 21. Jahrhundert-Version der Projektpädagogik

Wir leben in einer „VUCA-Welt“. „VUCA“ ist ein Akronym, das sich auf „volatility“ (Unbeständigkeit), „uncertainty“ (Unsicherheit), „complexity“ (Komplexität) und „ambiguity“ (Mehrdeutigkeit) bezieht. Dies spiegelt sich auch in der Veränderung der beruflichen Aufgaben wieder: Fähigkeiten wie das Lösen von unstrukturierten Problemen in Teams sowie die selbständige Aneignung von neuen Informationen und Kompetenzen werden zunehmend stärker benötigt, wohingegen das Verrichten von Routineaufgaben stark abgenommen hat. Zudem gehen die Menschen von heute nur noch selten ihr ganzes Leben lang demselben Beruf nach. Dieser Trend wird durch den zunehmenden Einsatz von KI-Anwendungen in allen Bereichen noch weiter beschleunigt. Die Welt hat sich von einer Industriegesellschaft zu einer digitalen Wissensgesellschaft entwickelt. Das impliziert eine Veränderung von Schule und Unterricht: Es müssen Lernsettings geschaffen werden, die die sogenannten „21st Century Skills“ berücksichtigen. Konkret geht es um die Förderung der sogenannten „4K“ (Kommunikation, Kollaboration, Kreativität, Kritisches Denken) im Unterricht in Zusammenhang mit dem Erlernen von digitalen Kompetenzen.

Wenn wir Lernende heute so unterrichten, wie wir gestern unterrichtet wurden, nehmen wir ihnen ihr Morgen.

John Dewey

Insofern würden wir die Schüler:innen von heute nicht gut auf die Welt vorbereiten, wenn wir unseren Unterricht ausschließlich auf die Vermittlung von Fachinhalten ausrichten und die Verwendung von digitalen Medien im Unterricht ausschließen würden. Das Deeper Learning-Konzept fußt im Prinzip genau auf der Verbindung dieser Gegensätzlichkeit: Es soll den oben beschriebenen gesellschaftlichen Wandel in die Schule hineintragen, indem es die „4K“ fördert und trotzdem Fachwissen vermittelt sowie andererseits das Internet bzw. digitale Medien als Wissensquellen einbindet und trotzdem klassische Quellen wie Bücher etc. zulässt (i.S. einer hybriden Lernumgebung).

Im Folgenden wird das Konzept des Deeper Learnings mit seinen Kernelementen genauer vorgestellt und erläutert, worin sein Mehrwert besteht. Danach geht es um die einzelnen Phasen des Deeper Learnings sowie die je nach Phase wechselnden Lehrerollen und abschließend werden typische Herausforderungen beschrieben, die sich bei der Umsetzung dieses Konzepts ergeben können.

Warum Deeper Learning?

Der Grundgedanke, auf dem das Deeper Learning-Konzept basiert, besteht darin, die Stärken der Pädagogik des 20. Jahrhunderts (Pädagogik der Wissensvermittlung) mit den Stärken der Pädagogik des 21. Jahrhunderts (lernerzentriert, problemorientiert, an den „4K“ ausgerichtet) zu vereinen und dabei den traditionellen schulischen Raum durch außerschulische und virtuelle Lernorte zu erweitern („hybride Lernumgebung“).

Aus der Kognitionsforschung ist bekannt, dass Problemlösen nur dann gelingen kann, wenn es auf solides Fachwissen fußt – dies wird in der ersten Phase des Deeper-Learning-Prozesses durch klassische Wissensvermittlung erworben (Beschreibung der einzelnen Phasen: siehe unten). In der zweiten Phase arbeiten die Schüler:innen auf Grundlage des Wissensfundaments gemäß der „4 K“ möglichst selbstorganisiert in kleinen Teams an komplexen Problemstellungen, die in der dritten Phase (Präsentationsphase) in eine „authentische Leistung“ münden (s. unten). In allen drei Phasen lassen sich digitale Medien zum Vereinfachen der Abläufe sowie zur kreativen Gestaltung von Produkten nutzen.

Vor allem der Mehrwert der kognitiven Aktivierung ist bei diesem Konzept hervorzuheben: Kognitive Aktivierung gelingt nur, wenn sie an bereits vorhandenes Wissen angeknüpft – andererseits ist es aber auch wichtig, den Schüler:innen Möglichkeiten einzuräumen, ihren Lernprozess aktiv mitzugestalten und Verantwortung für diesen zu übernehmen („Student Agency“). Beide Aspekte werden beim Deeper Learning je nach Phase des Prozesses berücksichtigt – die Wissensaneignung in der ersten und die Student Agency in der zweiten Phase.

Phasen des Deeper Learnings und adaptive Professionalität

Im Kasten werden die Phasen des Deeper Learnings nach Sliwka u.a. zusammengefasst dargestellt. Bezüglich einer genaueren Beschreibung der einzelnen Phasen sowie der Kernelemente des Konzepts wird auf das Workbook für Lehrkräte (erschienen 2023 im Belz-Verlag) verwiesen. In dem Buch sind zudem zahlreiche Vorlagen zur direkten Umsetzung in die Praxis zu finden.

Phasen des Deeper Learnings: prägnant und kompakt

  • (Co-)Design durch Lehrkräfte: Phase der Unterrichtsplanung, im Idealfall im Team
  • 1. Phase: Instruktion und Aneignung: von Fachwissen zu einem Thema durch Input von Experten; z.B.: Lehrervortrag, Erklär-Videos oder externe Experten digital interviewen. Sliwka unterscheidet dabei vier verschiedene Dimensionen von Wissen: konzeptionell, deklarativ, prozedural und meta-kognitiv.
  • Abschluss der ersten Phase: Nachweisen des Wissensfundaments; z.B.: Quizz/ Lückentext/ Team-Tabu…
  • 2. Phase: Ko-Konstruktion und Ko-Kreation: Phase des möglichst selbstorganisierten Arbeitens an komplexen Problemstellungen, meist in Teams, nach dem Voice & Choice-Prinzip (die Lernenden dürfen auf das „Wie“ und „Was“ des Lernens Einfluss nehmen): Das Fachwissen aus der ersten Phase wird vertieft und simultan werden die 4K sowie die Student Agency (s.o.) trainiert.
  • 3. Phase: Authentische Leistung: Erstellung von Arbeitsergebnissen, die in die reale Lebenswelt eingebettet sind und dort verwendet werden können; z.B.: ein Buch/ Film/ Vortrag/ etwas Gebautes/ eine Ausstellung… Das Lernziel dieser Phase besteht in der Präsentation des vertieften Wissens aus der zweiten Phase und der Reflexion des Lernprozesses.

Die Rolle der Lehrkraft variiert je nach Phase des Deeper Learnings: In der Phase der Unterrichtsplanung sind wir Unterrichtsdesigner:innen – im Idealfall in Zusammenarbeit mit unseren Kolleginnen und Kollegen. Kooperative Professionalität ist bei der Planung und Durchführung einer Deeper Learning-Einheit ausdrücklich erwünscht und eines der Kernelemente des Konzepts. Unsere Funktion in der Instruktionsphase sieht klassisch aus, da zu Beginn des Themas Fachwissen verständlich vermittelt und abgesichert werden muss (Lehrkraft als Wissensvermittler:in). Während die Schüler:innen in der zweiten Phase selbstorganisiert arbeiten, fungieren wir als flexible Lernunterstützer:innen und geben bedarfsorientiert Hilfestellung. In der Präsentationsphase sind wir als Feedbackgeber:in im Einsatz und schätzen fachliche sowie überfachliche Kompetenzen unserer Schüler:innen ein. Im Grundsatz geht es also darum, als Lehrkraft in den unterschiedlichen Phasen die jeweils passende Rolle einzunehmen – dies bezeichnet Sliwka als „adaptive Professionalität“.

Herausforderungen bei der Umsetzung von Deeper Learning

Zunächst kann es für uns Lehrkräfte herausfordernd sein, den Habitus des Wissensvermittlers in der zweiten Phase des Deeper Learning-Prozesses abzulegen und stattdessen mit professionellem Blick auf die einzelnen Schüler:innen bzw. Teams diagnostisch einzuschätzen, wer wie viel Unterstützung benötig. Sliwka bezeichnet diese Lernunterstützung nach dem Prinzip der minimalen Hilfe als „Scaffolding“. Grundsätzlich fordert die oben beschriebene adaptive Professionalität, bei der die Lehrkraft je nach Phase einen anderen „Hut“ auf hat, ein großes Maß an Flexibilität von uns. Darüber hinaus ist die angestrebte kooperative Professionalität an unseren deutschen Schulen noch nicht umfassend etabliert, da in vielen Fällen noch isoliert gearbeitet wird. Abschließend ist die räumliche Ausstattung der Schulen als mögliche Schwierigkeit bei der Umsetzung von Deeper Learning in die Praxis zu erwähnen. Schulen, die erfolgreich Deeper Learning durchführen, besitzen flexible, große Räume, die für das kreative Arbeiten ausgestattet sind (mit Sitzecken, Maker Spaces, 3D-Druckern, Video-Equipment etc.) und sie ermöglichen Zugang zu klassischen sowie digitalen Wissensressourcen. Auf diese Weise lassen sich hybride Lernumgebungen gestalten, die ein Kernelement des Deeper Learnings darstellen. Im Übrigen sind „Makerhubs“ eine Möglichkeit, solche multifunktional nutzbaren Räume zu gestalten. Hier findest du als Beispiel einen 360 Grad-Rundgang durch den Makerhub der Schule Stockflethweg.

Die Deeper Learning Initiative der Heidelberg School of Education bietet umfangreiches Informationsmaterial zum Deeper Learning an. Es beinhaltet konkrete Unterrichtsbeispiele, Veranstaltungstipps sowie zahlreiche Videos auf einem eigenen YouTube-Kanal zum Deeper Learning:

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